Fragiles Gleichgewicht
Chaos im Fokus
14. Juni – 6. Juli 2025
In einer Zusammenarbeit zwischen der Technischen Universität Dortmund und der Folkwang Universität der Künste in Essen haben Studierende unter der Leitung von Felix Dobbert und Prof.in Jana Müller das Thema Chaos im Rahmen des f2 Fotofestivals in seiner Vielschichtigkeit erforscht. Es werden mannigfaltige fotografische Arbeiten präsentiert, die sich auf ganz unterschiedliche Weisen mit Chaos beschäftigen. Die Themen reichen von Erinnerungen, Kindheit und inneren Gefühlszuständen bis hin zu urbanen Situationen und politischen Prozessen. Oft ist Chaos in den Arbeiten nicht auf den ersten Blick erkennbar: es bedarf einer intensiven Auseinandersetzung mit den Bildern, die als Stellvertreter für Chaos in unseren Köpfen oder unserer Gesellschaft fungieren. Die Arbeiten thematisieren dabei, wie nahe Chaos und Ordnungssysteme beieinanderliegen. Besucher*innen werden eingeladen, sich mit den unterschiedlichen künstlerischen Annäherungen an das Thema Chaos auseinanderzusetzen und dabei die eigene Wahrnehmung zu reflektieren.

festhalten heißt nicht loslassen
festhalten heißt nicht loslassen
Lisa Alameddin
Gezeigt werden analoge Fotografien von Alltagsszenen. Durch den wiederholten Einsatz von Doppelbelichtungen verbinden sich Situationen, die manchmal nur Sekunden, manchmal Wochen auseinanderliegen. Der Zufall übernimmt die Komposition. Im Mittelpunkt steht der Wunsch, Erlebtes festzuhalten sowie die Ohnmacht gegenüber dem Fortschreiten der Zeit und dem Vergessen.

intra (raum null)
intra (raum null)
Lili Cirksena, Marcia Rottler
In einer Welt kontinuierlicher Bewegungen entsteht mit intra (raum null) eine Hypersymbiose: Verschwommene Versprechen treffen auf auditive Erholungssequenzen. Farben, Fragmentiertes, Frequenzen – alles strebt nach Entspannung. Doch dieser Raum versteht sich nicht nur als Rückzugsangebot, er formt einen dünnen Grad zwischen Regeneration und Reizüberflutung. Können wir dem Chaos entkommen, wenn wir nur die richtigen Töne spielen, die richtigen Farben wählen und uns in den weichsten Stoff wickeln?

Ein Dorf im Osten
Ein Dorf im Osten
Helena Demantowsky
241 Einwohner:innen, kein Bäcker, kein Supermarkt. Die Alten sterben, die Jungen ziehen mit Traum vom Eigenheim zu. Anstatt eines harmonischen Ortsbilds entsteht ein komplexes, dynamisches Mosaik aus Baustilen und Geschmäckern. Laut Gesetz muss sich ein Bauvorhaben in die „Eigenart der näheren Umgebung“ einfügen. Die Fotoarbeit thematisiert mit einem ironischen Blick das architektonische Chaos und hinterfragt, wie sich eine Eigenart überhaupt herausbilden kann, wenn die Politik immer wieder Brüche hinterlässt.

Like the legend of the phoenix?
Like the legend of the phoenix?
Ann-Kathrin Funke
Meine Arbeit zeigt einen Monat in meinem Leben mit einer prämenstruellen dysphorischen Störung (PMDS). Sie veranschaulicht mein subjektives Erleben von Symptomen wie unter anderem Affektlabilität, Depressionen und Angstzuständen, die bis zu zwei Wochen lang in der Lutealphase auftreten. In diesem psychischen Chaos entsteht eine individuelle Struktur – ein wiederkehrendes Leiden, das jedes Mal aufs Neue wie ein inneres Feuer blendet, brennt und in jeden Bereich des Alltags eingreift.

LOST IN CASINO
LOST IN CASINO
Oliver Hanstein
In dieser Arbeit geht es um äußeres und inneres Chaos, das Lost-Sein vor und an den Bildschirmen. Es geht darum, aus der Realität auszusteigen. Wetten auf irgendeine Art von Zukunft ist eine sehr persönliche, subjektive Angelegenheit. Wie können wir wissen, was passieren wird? Que sera, sera. Whatever will be, will be. Aber wieviel von alldem können wir beeinflussen? Können wir zwischen Ungewissheit und Gewissheit balancieren und trotz des scheinbaren Chaos um uns herum glücklich sein?

Vierdriems
Vierdriems
Allegra Höltge
Idyllische Naturaufnahmen – Licht, Ruhe, Schönheit. Und doch: In meinem Kopf herrscht Chaos. Nicht sichtbar, aber ständig da. Es ist die Angst, die viele Frauen kennen, allein an vermeintlich friedlichen Orten. Der Blick schweift nicht nur über die Landschaft, sondern scannt nach Fluchtwegen, nach möglichen Gefahren. Schönheit wird zur Bedrohung. Diese Arbeit versucht diese stille Angst sichtbar zu machen. Die begleitende Audioinstallation soll das Gefühl verstärken: Schritte, Selbstgespräche, Unsicherheit. Der Titel „Vierdriems“ – eine abstrahierte Wortschöpfung aus „Fear“ und „Dreams“ – klingt harmlos, meint aber genau das Spannungsfeld aus Angst und Idylle, das die gesamte Arbeit einfängt.

little girl blue
little girl blue
Andreas Keddeinis
Am Nachmittag verschwimmen die Minuten der Abend löst sich auf in Zeit. Alle Gedanken sind auf das Jetzt gerichtet ab und an schweift etwas ab in Später und in Vielleicht. Die Nacht zeigt sich längst schon unbeeindruckt von Müdigkeit.
Gedämpftes Licht verrät deine halb geöffneten Augen. Wir weinen und lachen zusammen Lauschen dem Rauschen Und zählen deine kleinen Finger. Little girl blue
Der Floh und der Akrobat
Der Floh und der Akrobat
Luise Klemann
„Der Floh und der Akrobat“ ist eine fotografische Reise in die chaotische Welt meiner Kindheit. Basierend auf Archivmaterial zeigt die Serie das Zusammenspiel von Kind und Tier – zärtlich, grob, unbeherrscht, aber verbunden. Mit Humor erzähle ich von der Suche nach Nähe, vom Stolpern zwischen Freiheit und Kontrolle sowie vom eigensinnigen Forschergeist, der nie stillstand.

NÄHE.
NÄHE.
Jule Krüsmann
Was passiert, wenn Körper sich nah kommen? Torsos bilden eine neue, chaotische Einheit. Rücken und Bäuche, Haut und Nägel verweben sich ineinander. Es geht um das Erleben von Kontakt und Nähe - aber auch die Erkenntnis darüber, wo die eigene Form aufhört und die andere anfängt. Zwischen Berührungen und Körperlichkeit mischt sich zugleich eine Diskussion über Intimität und Identität.

Huis clos.
Huis clos.
Liam S. Curtis Mbella Ngom
„Huis clos“ ist der Zustand in einer Kluft. Keine Heldengeschichte, sondern der Versuch, Nähe zuzulassen, mitten im Chaos. Zwischen Blut, Geschrei und flackerndem Licht zerreißt etwas in dir. Man trägt Stolz wie eine Rüstung, doch nichts schützt vor den Blicken und Schlägen der anderen. Es geht ums Aushalten, nicht ums Gewinnen. Und manchmal liegt man da – sich selbst gegenüber, ohne Exit.

illusion of control
illusion of control
Aleksandra Muntowska
Lichtspuren zeichnen die Bewegung eines Tischtennisballs – Impulse, plötzliche Richtungswechsel und unvorhersehbare Brüche. Diese flüchtigen Momente verdichten sich zu scheinbar geordneten Mustern. Im Spiel zwischen Regel und Zufall entsteht ein visuelles Spannungsfeld, in dem Kontrolle nur eine Behauptung ist und das Chaos eigene Strukturen offenbart. Die Arbeit zeigt die Auseinandersetzung zwischen Berechnung und Unkontrollierbarem.

Puppenhaus
Puppenhaus
Paula Rieker
Ein Puppenhaus ist ein Ort der Ordnung. Wer stellt nicht gerne alles an den richtigen Platz? Damit es praktisch ist, damit es schön ist, damit alles passt. In den engen Grenzen ist alles überschaubar. Die Unordnung soll fein draußen bleiben. Und doch — das Dach ist fort. Die Bäume stechen aus dem oberen Stockwerk in die Luft und vermischen sich mit dem Garten, in den irgendjemand das HaWus gestellt hat. In den es eigentlich gar nicht gehört. Genauso wenig, wie der Fritz-Hansen-Stuhl auf dem schmutzigen Rasen. Die Sonne geht bald unter. Dann fängt es an zu regnen.
Das Chaos droht.

Vormerz
Vormerz
Natalia Simon
Im Zentrum meiner Arbeit stehen einige Dortmunder Parteien, die ich zwischen Dezember 2024 und Februar 2025 im kurzen, aber intensiven Bundestagswahlkampf fotografisch begleitet habe. Die Bilder zeigen, wie mit Herausforderungen wie verspäteten Plakaten, eiligen Unterschriftenaktionen, Wahlkampf zwischen Weihnachtsmarktbuden und Protesten gegen antidemokratische Strömungen umgegangen wurde. Schlaglichter beleuchten einige Aspekte, andere bleiben im Dunkeln.

OpenCartData
OpenCartData
Nele Theede
OpenCartData adoptiert ausgesetzte Einkaufswagen und gibt ihnen ein virtuelles Zuhause. Ich will zeigen, wie Einkaufswagen verlassen werden und auf ihre vermutliche Zukunft aufmerksam machen. Dabei sollen sich so viele Menschen wie möglich künstlerisch mit dem Motiv des Einkaufswagens auseinandersetzen können und dadurch im Alltag eine neue Perspektive auf diese ungeordneten Rollbehälter bekommen. OpenCartData soll damit die größte offene Datensammlung ausgesetzter Einkaufswagen werden.

Gefühlschaos
Gefühlschaos
Lisa Marie Thünker
„Gefühlschaos“ ist mein visuelles Tagebuch. Es spiegelt meine innere Gefühlswelt wider. Meine Egoperspektive und Selbstporträts in sehr positiv, negativ oder chaotisch geladenen emotionalen Momenten lege ich übereinander, passe die Deckkraft an. Meine ungefilterten, niedergeschriebenen Gedanken bilden die dritte Ebene. Die Bilder sind chronologisch sortiert und innerhalb des Tages untereinander nach Gefühlslage geordnet: oben positiv und unten negativ. Die Präsentation ähnelt einem Kardiogramm.

hearing them breathe
hearing them breathe
Kid Velour
Das Bild gehört zu meinem Projekt „hearing them breathe“, in dem ich mich introspektiv mit den Markern von Vergänglichkeit, spezifisch bezogen auf die Beziehung zu meiner Großmutter, auseinandersetze. Mir ist in dieser Arbeit der Projektionsraum wichtig, der sich im Bild öffnet Die Abhängigkeit von Medikamenten kann jede:n treffen und wirft Fragen nach Zerbrechlichkeit, Fürsorge und Nähe auf.

Blue Waves
Blue Waves
Kelun Wang
Diese in meiner Heimatstadt in China entstandene Fotoserie zeigt ein urbanes Paradox: Blaue Schutznetze, gespannt über Abrissruinen, sollen den Staub binden – doch unaufhaltsam brechen Pflanzen durch das künstliche Blau. Die daraus entstehende „blaue Welle“ aus Netzmaterial und Grün wird zur visuellen Metapher für das Spannungsfeld zwischen Zivilisation und Natur. Die Serie ist mehr als bloße Dokumentation – sie versteht sich als Reflexion über das fragile ökologische Gleichgewicht im Prozess fortschreitender Urbanisierung.

Es scheinen die alten Weiden so grau
Es scheinen die alten Weiden so grau
Sunao Weber
Im Leben durchlaufen wir immer wieder Phasen des Chaos, Momente des Kontrollverlusts. In meiner Arbeit habe ich mich mit einer solchen Phase auseinandergesetzt: dem Altwerden und den damit verbundenen inneren chaotischen Zuständen. Im Mittelpunkt steht mein Großvater, der an Demenz erkrankt ist. Fotografisch nähere ich mich seinen Gefühlswelten. Es geht um Einsamkeit und Alleinsein, um den Rückzug in einen vermeintlich sicheren Ort. Zugleich um das Ausgeliefertsein in eben diesem Rückzugsort und um den Zustand des Nicht- Verstanden-Werdens und des eigenen Unvermögens, zu verstehen.
